GERMANIA!

Heiner Müller, der berühmte Dramatiker der deutschen Nachkriegsgeschichte, hinterließ zwei groteske Collagen, die er Germania 1 und Germania 3 nannte. Ich muss gestehen, dass diese Werke mich beim Lesen nicht zu gewinnen vermochten. Beim Versuch, sie zu erfassen, schaltete ich immer wieder ab und meine Gedanken flohen zu Plätzen, an denen sie sich wohler fühlten.

Der Regisseurin Claudia Bauer verdanke ich den Zugang, sie liest dieses Gemetzel und Geschimpfe, diese Sammlung von Exekution und Exkrement, Schlacht, Schlamm und Schmerz mehr wie einen Comic-Strip. Als ich die Grausamkeiten, die Müller Hitler, Stalin, Ulbricht und Thälmann in die Schrecken speienden Münder gelegt hat, so zu visualisieren begann, als wären sie von virtuosen Hollywood-Trickfilmzeichnern animierte Szenen aus Tom & Jerry-Folgen, fand ich Vergnügen – zum Glück! So konnte ich meinen Teil zur genresprengenden Großproduktion in der Berliner Volksbühne beitragen: mit der Komposition symphonischer Musik für ein 16-köpfiges Orchester, einem Chor aus 12 Bässen und drei Sopranistinnen.

Zwei Monate krasser Versenkung, ständiger Neuanpassung komplexer komponierter Passagen an sich in achterbahnhhaftem Tempo verändernde Szenen und Durchlaufproben, die sich wie der Versuch anfühlten, auf messerscharfen Klingen zu balancieren, mündeten schließlich in eine krachende Premiere. Fast alle großen und kleinen Feuilletons waren da, widersprachen sich in ihren mal begeisterten, mal verachtenden Beschreibungen und Beurteilungen, schrieben zum Teil in ganzen Sätzen voneinander ab, sparen nicht an Vorwürfen, Unterstellungen, Gehässigkeiten – aber auch nicht mit Lob, Verständnis und Bewunderung für Schauspieler*innen, Regie, Kostüm, Bühne, Musik und Gewerke. Zum Glück ist das Parkett immer fast ausverkauft gefüllt und   auch wenn das Material keine Vertiefung in ein zusammenhängendes Drama bietet, auch wenn der Zusammenhang der Szenen nur assoziativ erahnbar ist – der Versuch, die einzelnen "Nummern" dieser von sich aus wenig unterhaltsamen Revue des Grauens in einen abendfüllenden Fluss zu bringen, ist uns allen Beteiligten jeden Abend eine Frage, die es neu und mit freischer Kraft zu beantworten gilt.

Ich freue mich schon auf die nächsten Vorstellungen am 7. und 21. Dezember. Dank an 31 leidenschaftliche Berufsmusiker*innen, die mit mir in diese Geisterbahn jeden Abend neu zum Klingen bringen und an ein bewegend präsentes und von Könnerschaft schallendes Ensemble aus Schau- und Puppenspieler*innen, die Germania an der Bühnenkante und hinter Kameras in die Wahrnehmung unseres Publikums zu bewegen wissen.

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